Paranormale Ermittler - Ghosthunter-Team Germany

Der Prozess

Mordprozess in Karlsruhe

Der Mann, der das Schweigen nicht mehr aushielt

Auszug aus Verhandlungstag vom 6. Oktober 2015

Mordprozess in Karlsruhe: Ein Stein steht im Karlsruher Hardtwald an dem Ort, an dem vor 28 Jahren die Leiche von Antonella Bazzanella gefunden wurde.

Ein Stein steht im Karlsruher Hardtwald an dem Ort, an dem vor 28 Jahren die Leiche von Antonella Bazzanella gefunden wurde.

Eine Italienerin wird in einem Wald bei Karlsruhe brutal getötet. 28 Jahre lang ist der Fall ungeklärt. Bis sich im Februar 2015 ein Mann bei der Polizei meldet.

Der Angeklagte hat das Recht zu schweigen, niemand muss sich selbst belasten. Doch der 48-jährige Mann, der an diesem Morgen sein Gesicht mit ein paar Akten verdeckt, will reden. Er will sich selbst entlasten, er hat ja nun fast 30 Jahre lang geschwiegen. Vor dem Landgericht Karlsruhe hören ihm alle zu. Wollen wissen, wie alt er war, als er das erste Mal ins Heim kam. Wie viele Geschwister er hat, wie ihn sein Stiefvater verprügelte, wieso er als Jugendlicher anfing zu trinken.

Ein Psychiater sitzt ihm gegenüber, fragt nach Schwierigkeiten mit Frauen, Gewaltfantasien, sexuellen Vorlieben. Nein, nein, alles normal, antwortet der Mann auf der Anklagebank.

Alles normal. Nur an jenem Sonntag nicht, dem 21. Juni 1987. Da hat der damals 20-Jährige nach eigener Aussage eine Tat begangen, die er sich nie zugetraut hatte.

Er habe auf einer Bank gesessen und Bier getrunken, sagt er heute, es sei nicht sein erstes gewesen, eher sein fünftes. Eine Italienerin, etwa fünf Jahre älter als er, habe auf dem Weg vor ihm angehalten, ihn nach dem Weg gefragt. "Cavallo", Pferd, habe sie gesagt, und er habe in die Richtung gezeigt, wo er Pferde gesehen hat. Es sei ein guter Tag gewesen, ein strahlender Sonntag, im Schlossgarten sang Tina Turner. Die Stadt war voller Menschen. Er sei "happy" gewesen, sagt der Angeklagte. Und: "spitz". Spitz auf diese junge Frau, die kaum Deutsch konnte und gerade in Richtung Cavallo davongeradelt war. Einige Minuten später stieg auch er auf sein Rad.

"Hatten Sie da schon eine Erektion?" fragt der Richter. Der Angeklagte nickt, ja, das wisse er heute noch.

Wenige Minuten später setzt die Erinnerung des Mannes aus. Er weiß noch, dass er die junge Frau vor sich erblickte, dass er mit dem Rad neben sie fuhr, ihr fest an die Brüste griff. Dass sie erschrak, stürzte und begann, ihn zu beschimpfen. Er sagt, er habe das Wort "Hurensohn" verstanden, er konnte ein paar Worte Italienisch. Von dem Moment an habe er "rotgesehen". Er sei auf die Frau zugestürmt und habe sie gewürgt, so lange, bis sie in sich zusammensackte. Dann zog er sie ins Unterholz, kehrte aber noch zweimal zum Weg zurück, um ihr Rad und ihre Tasche zu holen.

Ein einziges Bild hat sich ihm ins Gedächtnis eingebrannt

An das, was dann passiert sei, habe er keine Erinnerung. Ein einziges Bild hat sich ihm ins Gedächtnis eingebrannt: wie er der jungen Frau einen Stock in den Mund schlägt. All die anderen Taten, die den Fall später als sexuell motivierten "Ritualmord" einordnen werden, seien aus seinem Gedächtnis gelöscht, sagt der Angeklagte vor Gericht. Er habe mehr als zehn Jahre lang gar keine Erinnerung an diesen Vorfall gehabt, nicht einmal gewusst, dass es da irgendetwas zu verdrängen gab.

Dass es überhaupt zum Prozess gekommen ist, liegt wohl nur an diesem Bild mit dem Stock. Hunderte Männer wurden damals überprüft, eine hohe Belohnung ausgesetzt. Vergeblich. Der Mann war wenige Tage nach der Tat zu seiner Mutter in die Schweiz gezogen, dort lebte er unauffällig, arbeitete auf dem Bau, als Fensterputzer, pflegte seine kranke Mutter, hatte kurze Beziehungen. Nach dem Tod der Mutter 2002 tauchte das Bild häufiger auf. Nachts, dann auch am Tag. Irgendwann habe er es nicht mehr ausgehalten, sagt er heute. Im Februar 2015 geht er in eine Polizeidienststelle, es ist Fastnacht in Basel. Er sagt, er müsse die Kripo sprechen.

Der Karlsruher Mordermittler Wolfgang Metzger, der den Fall seit 1987 bearbeitet, sagt, es sei knapp gewesen: "Die Kollegen hätten ihn fast wieder heimgeschickt. Der Mann war dabei zu gehen, da fragt ihn der Kollege: Was ist denn? Der bleibt stehen, dreht sich um und sagt, er möchte sagen, dass er derjenige ist, der vor vielen Jahren bei einem Tina-Turner-Konzert in Karlsruhe eine Italienerin getötet hat." Am nächsten Tag hat Metzger eine Notiz auf seinem Schreibtisch liegen. Er fährt nach Basel - und lernt dort den Mann kennen, nach dem er fast 28 Jahre lang gefahndet hat. Ihm sei klar geworden: Die Bestie, die sie finden wollten, gibt es nicht. "Er war nie der, den wir gesucht haben."

Vor Gericht berichtet Metzger von der jungen Italienerin, sie hieß Antonella Bazzanella. Einige Wochen zuvor war sie nach Deutschland gekommen, um in einem Eiscafé zu arbeiten. Metzger beschreibt die damals 25-Jährige als "fleißig, unscheinbar, zurückhaltend". Eine Vorgeschichte zwischen ihr und dem Täter kann ausgeschlossen werden. Die DNS des Mannes wurde inzwischen überprüft, sie stammt mit den Funden vom Tatort überein. Dennoch bleiben Ungereimtheiten: Wenn der Angeklagte einige Minuten gewartet hätte, bis er Bazzanella nachgefahren ist, wäre sie weit weg gewesen. Eine Zeugin hat ihn zuvor in der Nähe des Tatorts gesehen: Hat er dort gewartet? War es eine Kurzschlussreaktion? Wie beschädigt ist seine Erinnerung? Mit diesen Fragen wird sich das Gericht beschäftigen. Auch damit: Wie viel musste das Opfer bei Bewusstsein ertragen? Die Geschwister Bazzanellas werden in der kommenden Woche im Gerichtssaal erwartet; ihre Eltern nicht, sie sind zu alt.

Der Hardtwald, in dem die Leiche vor 28 Jahren von Spaziergängern gefunden wurde, beginnt direkt vor dem Gerichtsgebäude. Ein Gedenkstein erinnert an die junge Frau, die an diesem Dienstag in Karlsruhe noch einmal beschrieben wird: orangefarbener Pullover, weiße Bluse, Unterhemd, Jeans. Rätselzeitschriften in der Handtasche, 10 Pfennig, eine Streifenkarte der Verkehrsbetriebe, eine Streichholztasche des Eiscafés, in dem sie arbeitete.

Fünf Verhandlungstage sind angesetzt, das Urteil wird für den 16. Oktober erwartet. Weil der Täter damals erst 20 war, wird womöglich Jugendstrafrecht angewandt.